Tschüss Moskau, hallo Saigon!

Wir müssen schon sagen, dass Moskau eine tolle Erfahrung für uns war. Nicht nur haben wir den menschlichen und kulturellen Kontrast zwischen Russland westlich des Ural und Sibirien hautnah erleben dürfen – nein wir haben auch die schönsten Ecken der größten Stadt Europas erkundet und den seltsamen Sowjetcharme eingeatmet. Doch jetzt in Saigon im Süden Vietnam ist das erste Mal auf dieser Reise alles so komplett anders als alles zuvor. Allen voran das Wetter, das wir in Russland echt nicht gebrauchen könnten. Nasskalte fünf Grad bei frostigem Wind und verregneter Kulisse sind wirklich nicht unser Ding.


Ein paar Liebesgrüße an Moskau

Bevor wir in die Hektik, den Gestank und den Trubel Saigons eintauchen, möchten wir noch einige Worte über unsere Erkundung Moskaus verlieren. Nachdem wir Ellis Mutter in Woronesh besucht hatten und wieder in Moskau standen, nahmen wir Kontakt zu Leo und Uliana auf, einem herrlich unkomplizierten und lebensfrohen Couchsurfer-Pärchen, das uns leider nur einen Tag bei sich aufnehmen konnte – so dachten wir zumindest. Als wir in ihrem luxuriösen Apartment in einem der äußersten Randbezirke Moskaus ankommen, stimmt die Chemie sofort so sehr, dass Uliana zu uns sagt: „Wir bekommen zwei andere Couchsurfer morgen, denen wir schon vorher zugesagt hatten, aber die können auch auf dem Sofa schlafen und ihr bleibt so lange ihr mögt im Gästezimmer.“ Wir sagen sofort ja, und das war die beste Entscheidung für unsere Zeit in Moskau, die wir treffen konnten: Ihr Apartment mit lauter Star Wars Merchandise (Ben war sofort verliebt) und ständig laufender Rockmusik liegt im 14. Stockwerk eines Hochhauses von dem aus wir das gesamte Land überblicken und abends das Lichterspektakel Moskaus genießen können. Einziger Wehrmutstropfen: Elli hat scheinbar ihre leichte Erkältung aus Woronesh verschleppt und liegt jetzt dank des furchtbaren Moskauer Vor-Winter-Wetters mit Fieber flach. Mit Aspirin Complex und viel Tee bleibt die Laune aber verhältnismäßig gut und wir verbringen die Abende mit Leo und Uliana beim gemeinsamen Kochen und arbeiten tagsüber am Sortieren unsere vielen Fotos, sodass wir endlich wieder auf dem aktuellen Stand sind. 

Sobald es Elli wieder etwas besser geht, erkunden wir mit Uliana weiter die Stadt und erleben so einiges in Bezug auf die (west-)russische Kultur: Erst einmal sind die Menschen hier doch eindeutig unfreundlicher und kühler als in Sibirien, wo uns ein deutlich offenherzigerer und fröhlicherer Menschenschlag begegnete. Das bezieht sich auf die Begegnungen im öffentlichen Leben, nicht auf unsere herzerwärmenden Gastgeber, einschließlich Alexey, der uns so viel geholfen hat. Mit ihnen werden wir noch lange in Kontakt bleiben. Kurios auch eine Situation im Zug: Ein Betrunkener (davon sieht man in Russland sehr, sehr viele und wir können Betrunkene nicht ausstehen) kann kaum noch stehen und wird von der kräftigen Schaffnerin an einer Station des Zuges verwiesen, weil er kein Ticket hat. Als sich die Türen öffnen fällt er jedoch stumpf aus dem Zug und mit dem Gesicht voran auf den Bahnsteig – Faceplant nennt man so etwas und es sieht nicht schön aus. Einige Umstehende helfen dem Mann und hieven ihn zu einer Bank am Bahnsteiggeländer. Dort fällt das wandelnde Ethanolreservoir erneut mit dem Gesicht voran in das Geländer und bleibt reglos liegen, während wir ihn aus dem abfahrenden Zug mit einigem Entsetzen in der Ferne verschwinden sehen. Die Umstehenden scheint das nicht besonders zu schockieren – warum nicht? „It’s Russia, baby!“ In Novosibirsk ist es uns gar passiert, dass unsere Gastgeberin Stephanie uns ein Video zeigt, dass sie gerade mit ihrem Handy auf dem Weg nach Hause aufgenommen hatte: es zeigt wie sie an einem Unfall vorbeifährt, bei dem ein Panzer einen Kleinwagen überrollt und komplett zerstört hat – „it’s Russia, baby!“ Hier noch ein kurzer, fünf-sekündiger Videoclip, mit dem uns ein Russe das Leben in Russland erklären wollte, bevor es am 2. Oktober nach Saigon geht – mitten in der Regenzeit…

Ein ganz normaler Flug...

Als wir am dritten Oktober entspannt und voller Freude in Saigon landen – ha, reingelegt! Du dachtest doch nicht wirklich, dass es mit uns so einfach laufen würde, oder? Sicher hast du unsere Updates bis hierher alle verfolgt und weißt bereits, dass es nie so einfach ist J! Darum hier wie es wirklich war: vor dem Flug haben wir uns über Visabestimmungen informiert, allerdings nicht ausführlich genug. Unserer Erinnerung nach hieß es, dass Schengen-Bürger 15 Tage visumfrei einreisen dürfen. Als wir am Schalter von Aeroflott einchecken, sagt uns die Angestellte in etwa so etwas: „Herr Krämer, hier ist ihre Boardingkarte. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Flug. Frau Azoidou, Sie bleiben hier, da sie kein Visum für Vietnam haben. Was kann ich noch für Sie tun?“ – „ähm, uns erschießen?“ Das ist uns schon einmal bei dem Versuch eines Ägyptenurlaubs passiert, als wir am Airport weggeschickt wurden, weil entgegen der Versicherung unseres Reisebüros Ellis EU-Perso anders als Bens nicht als Reisedokument akzeptiert wurde. Also hieß es nachhause fahren und sich wunderbar fühlen mit all dem Geld, das wir verloren hatten... Ein unangenehmes Déjà-Vu also.

 

Auch mit verzweifelten Hilfsgesuchen ließ sich am Schalter nichts machen und wir hatten nur noch 80 Minuten bis zum Abflug. Also hat Ben schnell recherchiert und einen Anbieter gefunden, der ein Expressvisum in maximal 30 Minuten ausstellt und per Email verschickt. Um im Fall der Fälle nicht ohne Bens Gepäck in Moskau zu stranden, wurde seinen Sitz ebenfalls storniert und sein Gepäck zurückbeordert, sodass wir es abholen und im Zweifel erneut einchecken könnten, wenn Elli noch ein Visum bekommt. Nach viel Hin- und Her und einigen Litern Angstschweiß haben wir für 80 Dollar noch das Expressvisum per Mail bekommen, das wir aber noch Ausdrucken mussten, etwa 10 Minuten, bevor unser Gate schließt. Klingt hier möglicherweise einfach, doch wir mussten unsere Email irgendwie an eine Mitarbeiterin von Aeroflott weiterleiten, die dann den Link zu dem Visum öffnen und es für uns ausdrucken kann. Als das endlich klappt haben wir noch vier Minuten bis unser Flugzeug geschlossen wird und müssen noch einchecken. Da die Frau am Schalter unsere Sitze aber storniert hatte, waren unsere Plätze mittlerweile vergeben und sie musste einige Leute zu sich rufen um in aller Hektik eine Lösung zu finden. Wie es geklappt hat wissen wir nicht, aber nach weiteren drei Minuten drückt sie uns mit den Worten: „so etwas Stressiges habe ich in 15 Jahren noch nicht erlebt“ unsere Tickets in die Hand und wir rennen wie die Irren zu unserem Gate von dem schon seit einer Viertelstunde die Worte „last call for flight SU292“ aus den Lautsprechern dröhnen und schaffen es tatsächlich noch in die fliegende Sardinenbüchse. Puh! 

Welcome to crazy Rollertown, quack, quack!

In crazy Rollertown, also Saigon, bzw. dem heute unter dem sperrigen Namen “Ho Chi Minh City” bekannten Wirtschaftszentrum Vietnams angekommen, erschlagen uns erst einmal unendliche Regenmassen und die heiße, extrem schwüle Luft. Trotzdem freuen wir uns über die Wärme, die uns die russische Kälte aus den Knochen vertreibt. Selbst der Gang zum Taxi wird hier zum schweißtreibenden Akt. Wenn du mehr über den Schweißlevel wissen möchtest, was sicherlich nicht der Fall ist, stell dir vor, dass du in einer Sauna zu 100 Kniebeugen gezwungen wirst, während dir jemand den Aufguss über den Kopf schüttet. Doch sei’s drum – es ist endlich wieder warm und Elli blüht langsam wieder auf. Außerdem lächeln die Menschen hier deutlich mehr und sind sehr höflich – toll! Bei der Fahrt durch die Stadt zu unserem Couchsurfing Gastgeber Nhat (vietnamesisch für Japan) staunen wir über die endlosen Massen an Roller- bzw. Mopedfahrern, die mit Mundschutz oder kompletter Gesichtsmaske durch den Smog und knietiefes Wasser durch die überfüllten Straßen donnern. Hier gibt es keine Verkehrsregeln und die Verkehrswege platzen aus allen Nähten. Trotzdem ist der Verkehr hier einfacher zu bewältigen als im Iran, wo an jeder Kreuzung ein Unfall wartet, denn die Menschen geben Acht und sind niemals aggressiv. Wenn du über die Straße gehen willst, tust du das einfach, egal wie voll sie ist und der Verkehr wird um die herumfließen, während alle hupen – aber nur um auf sich aufmerksam zu machen, niemals, weil jemand dich beschimpft. Einen Unfall haben wir bis heute nicht gesehen. Die nächsten Tage verbringen wir mit unseren Gastgebern und ihren einheimischen Freunden, die uns die Stadt und das traditionelle Essen näherbringen. So essen wir in kurzer Zeit Schnecken, Schweinemagen, Ochsenhaut, Muscheln und die berüchtigte Stinkefrucht „Durian-Fruit“. Letztere war das einzige was tatsächlich gut geschmeckt hat. Ochsenpenis, Schweinefuß und die allseits beliebte Qualle haben wir dann lieber dankend abgelehnt. Insgesamt müssen wir doch sagen, dass die zumindest teilweise an Touristen angepassten Restaurants uns deutlich besser gefallen, bzw. wir das traditionelle Essen gar nicht herunterbekommen, da es immer nach der überall verwendeten Fischsoße schmeckt und dazu noch recht eigenartig nach Dingen, die wir auch mit viel Fantasie nicht benennen können. Erstaunlich übrigens auch, dass Vietnamesen nicht zwischen Frühstück, Mittag- und Abendessen unterscheiden. Es werden immer die gleichen Dinge gegessen.

Zum Beispiel Aal, was uns zu einer lustigen Situation auf einem entlegenen Markt bringt, wo am Fischstand ein Aal versucht vom Schneidbrett zu entkommen und die Frau mit dem Fleischermesser empört auf Vietnamesisch mit ihm schimpft, um dann mit lautem Donnern das Beil auf seinen Kopf knallen zu lassen, dass es spritzt. Apropos Vietnamesisch: in der Überschrift haben wir nicht ohne Grund „quack, quack“ geschrieben. Wir lieben diese Sprache einfach. Anders als das barbarisch-harte Deutsch oder das Klingoni- äh Russisch, ist Vietnameisch ganz anders! Wenn eine Gruppe Vietnamesen miteinander spricht, ist das meist laut und aufgeregt und klingt wie eine Horde Enten, die fröhlich schnatternd durch den Garten tobt – herrlich erfrischend, zumal Vietnamesen viel Lächeln und dafür sorgen, dass wir uns hier sehr wohlfühlen. 

Falls ihr euch fragt wie es in Südostasien mit Ungeziefer aussieht: gibt es. Wir haben schon mit Kakerlaken und Tausendfüßlern eine Nacht verbracht, während der schwarze Schimmel an den Wänden uns gehässig dabei zugesehen hat. Als nächstes werden wir uns Vietnams wohl bekanntestes Postkartenidyll anschauen: die Halong Bucht bei Cat Ba. Wir dürfen auf gutes Wetter hoffen, denn Regenzeit bedeutet hier nicht Dauerschiff wie in Deutschland, sondern kurze aber harte Regenschauer einige wenige Male am Tag und dazwischen Sonne und wenig Touristen – ein guter Deal!

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