In Australien: Arzt, Frust, Freude, Fahrrad und Gandalf

Nach einem sehr entspannten (und dank eines Medikaments irgendwie urkomischen) Flug nach Melbourne betreten wir endlich australischen Boden und könnten glücklicher gar nicht sein. Südostasien war uns doch genug fürs erste. Jetzt gilt es ein paar Fahrräder zu finden, das Gepäckproblem zu lösen und unsere Route durch den roten Kontinent zu planen. Dabei lernen wir unheimlich freundliche Menschen kennen und müssen uns eingestehen, dass wir nichts über Fahrräder, Fahrradfahren oder Selbsteinschätzung wissen…

Der Beginn eines neuen Kapitels

Als wir auf dem Motorrad saßen, haben wir unsere Freiheit, den knackigen Sound unseres zweirädrigen Treckers namens „Tätärä“ und das unbeschreibliche Gefühl eines kraftvollen motorisierten Zweirads unter dem Hintern genossen. Doch einen klitzekleinen Haken gab es dabei schon: In unserem vorherigen Leben waren wir sehr sportbegeistert: Morgens sind wir täglich aus dem Bett in die Laufschuhe gestiegen und mindestens eine Stunde gejoggt, abends dann gab es ein kleines halbstündiges Krafttraining, oder umgekehrt. Die Umstellung, plötzlich 8-10 Stunden fast reglos auf einem Motorrad zu sitzen war für uns doch ein kleiner Schock. Also kam uns, spätestens nachdem die „Tätärä“ in der Mongolei ihren einzylindrigen Geist aufgegeben hatte, die Idee für eine Weile auf Fahrräder umzusteigen: Immerhin auch zwei Räder, viel körperliche Betätigung, Elli kann selber fahren, noch näher an der Natur und noch einmal eine Schippe Abenteuer mehr. So zumindest die Theorie. Im Vorfeld unseres Fluges haben wir uns daher bei der „Warmshowers“-Community im Internet angemeldet – eine Art Couchsurfing ausschließlich für Radfahrer. Nachdem wir einige Hosts angeschrieben hatten, gab es dann auch eine positive Nachricht: Sarah und Rhys aus Melbourne, die selbst auf Fahrrädern durch Europa gefahren sind, wollen uns bei sich aufnehmen und uns bei der Suche nach Fahrrädern und dem richtigen Equipment helfen.

Tavor gefällig? Die Zeit verging wie im Fluge…

Doch da war ja noch die Geschichte mit dem sehr entspannten und gleichzeitig urkomischen Flug, die wir natürlich auflösen wollen: Also Uhr zurückgedreht: Wir stehen am Flughafen in Phuket, checken gerade ein und sehen, dass wir in einem Dreamliner mit Sitzen im Mittelgang… sitzen. Dazu müssen wir sagen, dass Ben, der in seinem Leben schon extrem viel geflogen ist, nach einem Flug mit Delta Airlines eine leichte Unbehaglichkeit beim Fliegen und eine unangenehme Angst auf Sitzen im Mittelgang entwickelt hat. Bei angesprochenem Delta Flug im Mittelgang, der sich anfühlt wie eingepfercht in eine Sardinenbüchse, gab es heftige Turbulenzen und keine Möglichkeit aus dem Fenster zu schauen. Seither ist jeder Flug bei dem er am Fenster oder zumindest einer Reihe mit Fensteranschluss sitzen kann zwar kein Spaß mehr, sondern nötiges Übel, aber ein Flug in der Mittelreihe eine Zeit zum vergessen. Hinzu kommt, dass wir einen 9-stündigen Flug mit der grottigen Billigairline Jetstar vor uns haben, d.h. extrem dichte Sitzreihen, kein Entertainment-Programm, kein Essen, keine Getränke (sogar das Duty-Free Wasser wird eingesackt). Also erinnern wir uns an ein Beruhigungsmittel/Angstlöser/Schlafmittel namens Tavor, dass Bens Bruder uns für solche Fälle eingepackt hat. Auch wenn das Medikament verschreibungspflichtig ist und somit nicht jeder von euch drankommt: Nehmt es nicht, wenn ihr es nicht in Rücksprache mit einem Arzt verschrieben bekommen habt, so wie wir im Falle von Bens Bruder. Denn Tavor ist ein Benzodiazepin und macht extrem schnell süchtig! Nehmt es einfach generell nicht, wenn es nicht nötig ist.

 

Wie vorgeschlagen nehmen wir eine Tablette etwa 30 Minuten vor Abflug und der Rest des Fluges geht dann in etwa so: Nach 30 Minuten sagt Elli: „Ich merke noch gar nichts“. Fünf Minuten später starrt sie abwesend auf das graue Kopfteil ihres Vordersitzes und auf Nachfrage was sie da tue antwortet sie etwas entrückt „ich schaue fern!“. Auf die Frage ob alles in Ordnung sei kommt schließlich noch ein desinteressiertes: „ich habe Nackenschmerzen, aber das ist mir egal“. Für Ben sieht die Reise so aus, dass er auf den Flugbildschirm starrt, der das Flugzeug auf der aktuellen Route zeigt, danach noch einmal aufwacht, als das Flugzeug etwa auf halber Strecke in starke Turbulenzen gerät, sich ihm aber nur ein Achselzucken entlocken lässt. Danach wacht er erst wieder auf, als wir gerade landen, und zwar recht wach und ausgeruht. Auf Anraten unseres Arztes werden wir Tavor zwar nicht wieder nehmen, außer in einem ähnlichen Fall, doch es war einer unserer angenehmsten Flüge bisher J!

Melbourne, die lebenswerteste Stadt der Welt!

Melbourne wurde für 2016 vom Economist zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt und wir merken schon nach der Landung schnell, wieso das so ist: Extrem viele Grünflächen, ein angenehmes, mediterranes Klima, eine tolle Infrastruktur sowohl für Autos, als auch für Fahrräder und Fußgänger, saubere Straßen und ein entspanntes, kosmopolitisches Flair mit internationalen Gesichtern. Hier kann man es tatsächlich aushalten! Bevor wir zu unseren Warmshowers Hosts in einem Vorort namens Pakenham kommen können, schlafen wir zwei Nächte bei Tina und Demsey, einem Couchsurferpärchen aus Canada, das eigentlich eine Weltreise machen wollte, aber seit einem Jahr in Melbourne gestrandet ist, weil sie dort Jobs gefunden haben und es ihnen so gut gefallen hat. So verbringen wir unsere Zeit (malwieder) mit einem 32 Kilometermarsch durch die Stadt…

Dieses Gefühl nach 32 Kilometer Fußmarsch durch Melbourne...
Dieses Gefühl nach 32 Kilometer Fußmarsch durch Melbourne...

Außerdem besuchen wir noch ein Couchsurfing Meeting auf einer kleinen Insel namens Herring Island. Ganz nett, aber nichts Besonderes, da leider scheinbar nur australische Hosts da sind, aber kaum Surfer. Spannender wird es, als wir uns endlich auf den Weg zu Sarah und Rhys machen, die mit ihren zwei Weimarer Hunden auf einer kleinen, niedlichen Farm außerhalb der Stadt leben. Rhys hat bereits zehn verschiedene Ironman Wettbewerbe in zehn verschiedenen Ländern bestritten und die schwangere Sarah einen im tropischen Cairns absolviert. Unter Ausdauersportlern sind sie also so eine Mischung aus Wahnsinnigen und Volkshelden. Mit ihnen verbringen wir etwa eine Woche, in der uns dieses extrem gastfreundliche Pärchen mit Unterkunft und Verpflegung beherbergt (wir gehen schon immer heimlich einkaufen und Dinge in den Kühlschrank stecken, weil sie uns nichts bezahlen lassen wollen) und uns immer von A nach B fährt. Da Sarah in einem hammer Fitnessstudio arbeitet trainieren wir dort eine Weile beim Bodypump und Kickboxen am Boxsack – nicht nur eine kleine Vorbereitung auf die Radfahrstrapazen, sondern eine Menge Spaß! Den Rest der Zeit klappern wir alle möglichen Fahrrad- und Sportläden ab, um die besten Deals für Ausrüstung und Fahrräder zu finden und entscheiden uns letzten Endes mit dem Segen von Rhys für zwei um 50 Prozent reduzierte Vorjahresmodelle von „Fluid“. Es handelt sich um einfache Touringbikes ohne Gabelfedern, und 32 mm Reifen. Zusammen zahlen wir etwa 530€. Hinzu kommen Gepäckträger, Packtaschen, drei Wasserdichte Packrollen, zwei Lenkertaschen, Radlerhosen, Radlershirts, Windjacken und zwei Wasserrucksäcke, damit wir nicht 10 verschiedene Flaschen an den Rahmen pflastern müssen. All das kostet uns weitere 440€ womit wir etwa 1000€ für alles ausgegeben haben, was auch unser Wunschlimit war. Also bringen wir all unsere neuen Abenteurer-Habseligkeiten zurück zur Farm, bauen alles an und machen uns bereit für die große Abfahrt am nächsten Tag.

Mit Ekzem fährt es sich besser. Nicht.

Vor der Abfahrt am nächsten Morgen bemerken wir, dass eine rote, leicht eitrige Stelle an Ellis Bein doch kein seltsam entzündeter Mückenstich ist, oder zumindest nicht mehr, sondern ein sich ausbreitendes Ekzem, das sich auch noch auf mehrere Stellen am Körper ausgebreitet zu haben scheint. Seltsam, da sie noch nie vergleichbare Probleme hatte. Wir erklären es uns mit den beiden Hunden der Farm, die nicht gerade enthusiastisch zu den Hygienestandards des Hauslebens beigetragen haben. Also fahren wir erst einmal zu unserem nächsten Warmshowers-Host Maxine, eine 73-jährige Rennradfahrerin, die ihre Radfahrpassion erst mit Ende 50 nach dem Tod ihres Mannes gefunden hat und uns für zwei Tage beherbergt, erneut bekocht und verköstigt auch sie uns. Was für eine gastfreundliche, ausgesprochen großzügige Community die Radfahrer bilden verblüfft uns immer wieder. Ein echtes Geschenk, dass wir sofort zurück geben werden, sobald wir wieder sesshaft werden. Da Ellis Ekzeme trotz Abwesenheit der vierbeinigen Flohteppiche nicht besser wird, sondern sich noch weiter ausbreitet gehen wir auf Anraten von Bens Vater zum Arzt, da es sich um eine durch den Mückenstich hervorgerufene bakterielle Infektion handeln könnte. Gesagt getan bekommt Elli Penicillin verschrieben und wir fahren mit sachten 30 Tageskilometern weiter von Geelong nach Torquay, zu unseren nächsten Warmshowers Hosts (erneut die exakt gleiche aufopferungsvolle Gastfreundschaft!). Mittlerweile ist das Ekzem aber so schlimm und der Juckreiz so schrecklich, dass wir eine allergische Reaktion auf das Penicillin vermuten und wieder zum Arzt gehen. Der setzt das Antibiotikum ab und verschreibt ihr ein neues. Da der Juckreiz sich danach ein wenig bessert, beschließen wir, die Great Ocean Road weiter zu fahren bis nach Lorne. 60 Kilometer für einen Tag kommen uns zunächst recht genügsam vor, zumal wir uns noch immer mit unserem recht guten Trainingszustand brüsten. 

„Du. Kannst. Nicht. Vorbei!“

Das Fazit am Ende dieses Tages, der uns ein angenehmes Klima von knapp 25 Grad beschert, einige Schauer, die aber nicht lange anhalten und eine Menge Gegenwind lautet: Unsere Muskulatur und Ausdauer ist möglicherweise tatsächlich nicht das Problem. Selbst Ellis durchs Antibiotikum geschwächter Körper ist kein wirkliches Hindernis, aber die Motivation acht Stunden am Tag gegen 40-50 km/h starken Gegenwind auf und ab zu fahren sehr wohl. Auch wenn die Landschaft extrem schön, die Straßen gut (wenn auch leider von recht vielen Autos frequentiert) und die Picknick-Spots mit ihren öffentlichen Grills hervorragend sind, zerrt solch ein Tag doch ein wenig an den Nerven. Doch nicht genug, um uns zu demotivieren. Doch der Gandalf des Windes soll noch einmal zurückkommen…

Die Nacht verbringen wir beim Wildcampen in einem Ausläufer des Otway National Parks, der an einer Stelle knapp 12 Kilometer hinter Lorne bis zum eiskalten Ozean reicht. Wir schlagen unser Zelt das erste Mal auf dieser Weltreise in Sichtweite der Straße auf, wenn auch in großem Abstand, da wir uns hier sehr sicher fühlen. Wir freuen uns wie Bolle, endlich wieder in unserem kleinen Nordisk-Paradies zu schlafen, da stört uns auch der anfängliche Ekel nicht, uns nur mit Feuchttüchern waschen zu können. Die Nacht über regnet es dann in Strömen, sodass wir morgens schon befürchten, im Regen das Zelt abbauen zu müssen – ein Horror, den kein Camper genießen kann. Doch wir warten lange genug, um eine halbstündige Pause zu erwischen und dann mit antrainierter Routine alles schnell abzubauen und wieder zu verpacken.

„Wir. Können. Nicht. Vorbei!“

Der Fahrtag selbst beginnt wie er aufhören will: mit einsetzendem, extrem kaltem Regen und noch deutlich heftigerem Gegenwind als am Vortag. Bergauffahren wird zur Qual, da wir nun so viel Kraft aufwenden müssen, dass schnell die Oberschenkel brennen. Sogar beim Bergabfahren müssen wir in die Pedale treten, um vom Fleck zu kommen! Als wäre das noch nicht genug, gesellen sich zu den kalten (Platz-)Regenschauern nun auch Hagelschauer und nach etwa 40 Kilometern haben wir in Apollo Bay schließlich genug. Mit schlotternden Gliedern und klitschnassen Sachen stehen wir vor einem Touristencenter und verdrücken eines dieser vorzüglichen fertig gegrillten Hähnchen aus dem Supermarkt um uns etwas aufzuwärmen. Wir entscheiden, dass der Wettergandalf recht hat: Wir können nicht vorbei. Sarah und Rhys hatten uns in Melbourne gesagt, der Wind ändere ständig seine Richtung, doch entlang der Great Ocean Road haben uns alle Einheimischen versichert, dass der Wind neun Monate am Stück aus dem Westen blase, wir also falsch herum unterwegs seien. Also machen wir kurzen Prozess: Wir fragen einen Busfahrer, ob er uns und unsere Räder zurück gen Melbourne nimmt, Geelong genauer gesagt, damit wir unsere Runde durch Australien gegen den Uhrzeigersinn fahren können, mit dem Wind im Rücken. In Geelong angekommen stehen wir bei unserem Warmshowers Host Maxine allerdings vor verschlossener Tür und auch ans Telefon geht niemand. Wir wissen nicht was da schief gegangen ist, doch wir wissen, dass es bereits dunkel wird, wir extrem durchgefroren und leicht frustriert vom Tag und unseren vorerst gescheiterten Plänen sind und wir eine Unterkunft benötigen. Bei McDonalds wollen wir das Internet nutzen, um uns eine günstige Air BnB Bleibe zu organisieren, doch dem Tag entsprechend funktioniert dort das Internet nicht und alle anderen Läden wollen uns zurück zu McDonalds schicken. Eine unglückliche Stunde später sind unsere Akkus leer und auch das Problem hat sich erledigt. Also suchen wir um 22 Uhr mit Durchfragen und gucken nach einem Zimmer. Vier Hotels am Stück haben entweder schon geschlossen, sind voll, oder gerade am Renovieren. Bleibt nur noch das Mercur der Stadt, das uns mit unschlagbaren 185(!!!) Dollar ohne Früchstück oder Internet (das kostet günstige 10 Dollar extra) ein „Sonderangebot“ macht, weil wir ja so spät einchecken. Check Out ist übrigens um 10:30 und das Hotel entspricht gerade einmal einem 3 Sterne Standard – nicht einmal die Klimaanlage oder der Kühlschrank funktionieren. Kurzum: Ein Tag zum vergessen.

Das beste Mittel gegen Frust: Eine Kurskorrektur!

Wir erlauben uns nur einen Tag dem Frust Gehör zu verschaffen, uns über Gott, die Welt, das Geld, das Mercur, das Wetter und sowieso alles was lebt zu ärgern. Am Tag drauf besprechen wir in Ruhe, wie wir uns wieder besser fühlen können und beschließen folgenden Plan, an dem wir jetzt in diesem Moment basteln: Wir suchen uns zuerst eine Farm, um in Ruhe ein wenig Geld verdienen zu können, unsere Website wieder auf Vordermann zu bringen, mehr Tipps für euch zusammenzustellen, Artikel zu schreiben und ein paar andere Projekte in Gang zu bringen. Danach können wir deutlich entspannter unsere Fahrradreise weiterführen, ohne Gedanken an Geld, Gegenwind oder Frust zu verschwenden. Der Plan scheint übrigens aufzugehen, wenn sich nach einer Entscheidung plötzlich wie von selbst Türen auftun, ist das ja häufig ein Zeichen dafür, dass man an der richtigen Tür angeklopft hat. Also immer Kopf hoch! Bei uns sieht das so aus: Wir haben einen mega netten Couchsurfer gefunden, der uns so lange aufnimmt, wie wir möchten und mit dem wir extrem viel Spaß haben. Morgen halten wir an seiner Universität einen Vortrag über unseren bisherigen Trip. Bis heute waren wir zwei Tage mit seinen Eltern auf ihrem Landhaus, haben von dort den Australischen Busch erkundet und abends einer launigen Jam-Session in der örtlichen Kirche beigewohnt. Großartig!

Wenn etwas nicht funktioniert, ist es gut entweder beharrlich zu bleiben, oder einzusehen, dass es nicht der richtige Kurs ist und ihn zu korrigieren, wirkt Wunder! In diesem Sinne halten wir euch auf dem Laufenden und wünschen euch alles Liebe vom roten Kontinent ;-)!

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Kommentare: 1
  • #1

    Marina Kalashnikova from Russia (Novosibirsk) (Freitag, 28 April 2017 17:44)

    AAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!! The site is great))) Australia stories and pictures are amazing:) I'm happy that you are happy))) You look really good, fresh and strong!!! Send you a lot of kisses and hugs :* :)